Wer hätte das gedacht, dass das nächste ‚Major-Ereignis‘ nach der Einschulung des Jungen ca. 1,5 Jahre später in Form einer Pandemie auftreten würde und mich dazu verleitet, einen neuen Blogeintrag zu schreiben. Ich habe ja jetzt so viel Zeit – [what?] – und könnte doch wirklich mal wieder beginnen, diesen Blog hier zu betreiben.
Corona ist für mich als Biochemikerin ein wissenschaftliches Faktum, mit dem zu befassen mir tatsächlich ein wenig Freude bereitet. Andererseits leide ich als Elternteil unter der Situation des ‚Homeschoolings‘ und vermisse Ruhe und Kontemplation. Die angebliche ‚Chance‘, die die Krise für Familien darstellen soll, offenbart sich mir bisher nur in Teilen.
Wobei: Wir spielen jetzt an jedem zweiten Abend gemeinsam ein Gesellschaftsspiel und streiten auch nur ganz selten darüber, welches. Dafür streiten wird insgesamt deutlich mehr, vor allem darüber, ob/wie/wann die von der gesamten Familie vereinbarten Regeln für die Corona-Time eingehalten werden. Mir scheint, dass ich in dieser Familie der einzige Blockwart bin, der auf die Einhaltung der Regeln pocht, damit aber meist grandios scheitert.
Regel 1: Aufstehen vor 9 Uhr (unter der Woche) für alle. Diese Regel funktioniert bei allen, außer dem Kind (13). Das Kind ist inzwischen pubertär und braucht seinen Schönheitsschlaf, deshalb steht es in der Regel erst dann auf, wenn wir vom Spaziergang mit dem Hund [ja, wir haben seit etwas über einem Jahr einen Hund – unglaublich – ein eigenes Thema, das ich hier auch einmal bearbeiten sollte] wieder nach Hause kommen. Ich hoffe, der viele Schlaf zahlt sich aus und die Schönheit stellt sich ein. Natürlich ist das Kind schon jetzt wunderschön!! Der Junge (8) erscheint in der Regel im elterlichen Bett oder der Küche noch bevor der Mann und ich den Hund ausführen. Er kommt nicht mit raus, klar, ruft uns aber dafür während des Spaziergangs mehrfach an, um seine Bäckereibestellung zu ändern oder sich bereits zehn Minuten, nachdem wir weg sind, danach zu erkundigen, wann wir endlich wieder zurück sind.
Regel 2: Vormittags arbeiten alle, die Kinder und der Mann für die Schule und ich für die Uni oder die Arbeit. Diese Regel scheitert bereits an der Definition ‚Vormittag‘. Während das Kind seinen Tag de facto erst am Mittag beginnt, nehmen der Mann, der Junge und ich nach dem Hundeausgang ein zweites Frühstück zu uns, so dass der Schreibtisch selten vor 10 oder 11 Uhr besetzt ist. Geht man davon aus, dass der Vormittag Punkt 12 endet, ist die Arbeitszeit sehr eingeschränkt. Hinzu kommt, dass der Junge sich nur unter Anwendung von Versprechungen und Belohnungen zur Erledigung seiner Schulaufgaben motivieren lässt und zusätzlich auch immer wieder Hilfe – oder sagen wir: Zuspruch – benötigt. Das heißt also, selbst wenn der Junge gerade arbeitet, arbeite ich ganz sicher nicht. Das Kind erhält von den Gymnasiallehrer*innen über Moodle Aufgaben und erledigt diese auch fristgemäß – glaube ich. Ich vermute allerdings, dass dafür nicht das ursprünglich vorgesehene Zeitfenster, der Vormittag, verwendet wird.
Regel 3: Die Kinder gehen zwischen 14 und 15 Uhr gemeinsam mit dem Hund raus. Diese Regel klappt einigermaßen, wobei sich das Kind zunehmend weigert, den Jungen mitzunehmen, weil es sich damit überfordert fühlt, gleichzeitig Bruder und Haustier zu beaufsichtigen und es sich außerdem lieber mit einem Schulfreund zu diesem Spaziergang trifft. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Wenn der Junge aber nicht nachmittags mit dem Hund rausgeht, müssen wir Eltern dafür sorgen, dass er anderweitig einmal am Tag gelüftet wird. Wir bemühen uns nach Kräften, aber die Anreize nach draußen zu gehen sind für alle irgendwie eingeschränkt, es sei denn man möchte sich mit 100 anderen Familien auf einer der fünf großen Wiesen der Parks in der näheren Umgebung zum Familienfußball/-picknick treffen. Wären doch wenigstens die Spielplätze geöffnet, dann könnten sich die die vielen Hausgemeinschaften bei Sport und Spiel etwas besser verteilen.
Regel 4: Mindestens einmal pro Tag (Vor-)Lesen. Die ursprüngliche Idee dahinter war natürlich, insbesondere die Kinder zum Lesen zu motivieren. Ich lese sowieso, der Mann hin und wieder, aber die Kinder … Dem Jungen würde das ganz bestimmt beim lesen Lernen helfen und auch das Kind sollte mittelfristig seinen literarischen Kanon über die Harry-Potter-Bände hinaus erweitern. Das tut es jetzt auch, allerdings in einem Genre, auf das ich hier nicht näher eingehen möchte (Kennt jemand: Anna Todd?). Das gemeinsame Vorlesen mit dem Jungen war an den ersten zwei coronaschulfreien Tagen noch halbwegs engagiert (nach der Methode: Ich lese zwei Seiten, der Junge eine Seite), ebbte dann aber rapide ab. In einem halbherzigen Versuch habe ich begonnen, ihm Momo vorzulesen und bin dabei selbst ganz wehmütig geworden – mehr ist dann aber auch nicht passiert. Wir sind, glaube ich, auf Seite 35 stehengeblieben, noch bevor auch nur ein grauer Herr die Szene betrat.
Regel 5 betrifft die Aufgabenverteilung: Ich putze (wie immer), der Mann macht die Wäsche (wie immer), alle räumen ihre Arbeitsplätze auf (wie nie – und auch jetzt nicht), der Junge gießt die Pflanzen (hin und wieder), das Kind kocht mit dem Mann (kommt vor). An dieser Stelle ist also alles weitgehend unverändert geblieben.
Regel 6: Wir spielen jeden Abend ein Gesellschaftsspiel. Wie bereits geschildert, haben wir diese Regel auf jeden zweiten Abend abgemildert und schaffen das auch halbwegs. Alle sind inzwischen in einem Alter, das es ihnen erlaubt, ohne Tränen zu vergießen auch mal verlieren zu können. Außerdem spielen wir inzwischen Spiele, die über das Niveau des ‚Leiterspiels‘ hinausgehen und somit auch den Erwachsenen Freude machen.
Regel 7: Die Kinder sind ab 20:30 Uhr in ihren Zimmern. Ja, das klappt gut, aber sie kommen halt bis ca. 23:30 Uhr auch immer wieder raus.
Regel 9: Der Junge hat eine Mediennutzungszeit von zwei Stunden täglich. Ich weiß, das entspricht nicht den Empfehlungen der Experten, aber in diesen ‚besonderen‘ Zeiten darf das erlaubt sein. Was soll er denn auch sonst machen? Zu den zwei Stunden täglich kommen hinzu: Einmal Online-Sport, eine Wissenssendung (am liebsten mag er Pur+ oder Checker Tobi), einmal Anton-Lernprogramm (wobei das Interesse daran wieder stark nachgelassen hat). Die Mediennutzungszeit des Kindes kennen wir nicht, aber wir haben das Gefühl, sie hat die Sache im Griff.
Das waren unsere Corona-Regeln, die genau bis jetzt – dem Beginn der Osterferien – Gültigkeit hatten. In den Ferien wird weniger gelernt und gearbeitet und länger geschlafen. Ich hoffe, wir werden jetzt auch mehr mit der gesamten Familie nach draußen gehen, es ist ein Traumwetter gemeldet. Mal schauen, vielleicht werde ich berichten. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir eine Pause haben von der Lernbegleitung des Jungen. Das hat uns alle ein wenig strapaziert. Jetzt versuchen wir die Ferien bewusst entspannter anzugehen, zumal ja alles andere als klar ist, wie es anschließend weiter geht. Ich drücke uns die Daumen für ein baldiges Ende dieser Krise und dafür, dass so viele wie möglich gesund bleiben.